RA Duri Bonin im Interview mit NPK: Der erfahrene Strafverteidiger als Vertreter der Privatklägerschaft

  1. RPP: Duri, Du bist weitherum als Strafverteidiger bekannt. Zu Dir kommen aber auch regelmässig Klienten, die durch eine Straftat geschädigt wurden. Unter welchen Umständen rätst Du solchen Klientinnen – nicht zuletzt wegen Deiner Erfahrung im Strafrecht – vom Weg über eine Strafanzeige/ein Strafverfahren ab?

    Duri Bonin: Ein Strafverfahren «kostet» nicht nur Lebenszeit und allenfalls Geld, sondern stellt eine grosse psychische Belastung dar. Man wird in Frage gestellt, begegnet wiederholt der beschuldigten Person, die Verfahren dauern ewigs und man kann deshalb nicht abschliessen. Je nach Persönlichkeit kann einem ein solches stark vereinnahmen. Anderen wiederum hilft die direkte Konfrontation mit der beschuldigten Person. Es ist deshalb gemeinsam mit der von einer Straftat betroffenen Person sorgsam abzuwägen, was ein Strafverfahren an Belastung bedeutet, was diese sich von einem Strafverfahren erhofft und was realistischerweise herausschauen wird. In der grossen Mehrheit der Fälle ergibt sich dann der Entscheid wie von selbst.

  2. RPP: Welche Eigenschaften muss die Vertretung einer Privatklägerin – im Vergleich zur Strafverteidigung – mitbringen, um eine geschädigte Person kompetent zu vertreten?

    Duri Bonin: Während der Beschuldigte vom Strafverfahren betroffen ist, ist das Opfer von der Tat betroffen. Je nach Delikt hat dies traumatische Folgen. Als deren Vertreter muss man zwischen den Zeilen lesen können, um nur einen Aspekt zu nennen. Denn die Opfer sind gegen aussen oftmals sehr tapfer und simulieren Normalität. Unsere Arbeit kann mitunter weit über blossen juristischen Beistand hinausgehen, erfordert viel Empathie und psychologisches Geschick. Gleichzeitig muss man seine Grenzen erkennen und bei Bedarf kundige Hilfe beiziehen. Schliesslich gilt es auch der betroffenen Person zu helfen, aus der Opferrolle zu finden, eine Perspektive zu entwickeln. Bei der Verarbeitung kann das Strafverfahren helfen, aber damit alleine ist es oftmals nicht getan. Bei all dieser Involviertheit als Vertreter muss man sich abgrenzen und eine gesunde Distanz wahren können. Es ist eine sehr anspruchsvolle Arbeit.

  3. RPP: «Privatklägerschaft» umfasst eine breite Gruppe von geschädigten Personen, vom jungen Gewaltopfer bis zum geschädigten Unternehmen. Inwiefern ändern sich diesbezüglich die notwendigen Qualifikationen für eine kompetente Vertretung der Privatklägerschaft?

    Duri Bonin: Betreffend Gewaltopfer kann ich auf meine Antwort zu Frage 2 verweisen. Bei Wirtschaftsdelikten braucht es Freude an Detektivarbeit: Sich in eine Vielzahl von komplexen Unterlagen vertiefen, nach Ungereimtheiten forschen, Abklärungen tätigen, einem Puzzle gleich den verdächtigen Sachverhalt zusammensetzen und dann sprachlich so aufarbeiten, dass der komplexe Sachverhalt verständlich wird. Es braucht ein Verständnis für Zusammenhänge, den Fleiss und die Neugierde, sich in neuen Gebieten sachkundig zu machen, schliesslich hilft die Fähigkeit, sich in die beschuldigte Person einzudenken. Da hilft einem natürlich die Erfahrung als langjähriger Strafverteidiger.

  4. RPP: In seiner kürzlich erschienen Praxiseinführung in die Strafverteidigung empfiehlt Stephan Bernard, dass die Strafverteidiger früh im Verfahren auf die Privatklägerschaft zugehen sollen (vgl. S. 42, S. 73). Wie siehst Du das, auch wieder vor dem Hintergrund der Gegenüberstellung von Gewaltdelikten und Vermögensdelikten?

    Duri Bonin: Meine Antwort wird Euch nicht befriedigen, ich habe aber leider keine bessere: Es hängt immer vom Einzelfall ab. Was ist das Delikt? Was die Beziehung zwischen Opfer und Täter? Wie die Beweislage? Was ist vom Täter zu erwarten? Ist dieser geständig? Was will das Opfer? Wie wäre ihm am besten gedient? Der Faktoren sind zu vieler, als dass es ein Patentrezept geben kann. Ins Gespräch zu kommen ist aber grundsätzlich nie der falsche Weg. Auch wenn man dabei zu keinem Ziel kommt, gewinnt man zumindest neue Erkenntnisse.

  5. RPP: Gibt es Umstände, in denen umgekehrt die Privatklägerschaft auf die beschuldigte Person zugehen sollte? Falls ja, wann und wie?

    Duri Bonin: Natürlich, es gibt durchaus Interessen, welche sich in einem – naturgemäss polarisierenden – Strafverfahren nicht lösen lassen. Zum Beispiel habe ich unlängst bei einer versuchten Tötung im familiären Umfeld auf eine Opfer-/Täter-Mediation gedrängt. Das daraus resultierende Verstehen hat beim Opfer viel ausgelöst und bei der Verarbeitung unglaublich geholfen. Und auch der Täter hat einen ganz anderen Zugang zu seiner Tat gefunden.

  6. RPP: Die Verfahrensherrschaft liegt im Vorverfahren bei der Staatsanwaltschaft. Im Fokus steht regelmässig die beschuldigte Person. Die Privatklägerschaft gerät dabei oft in eine Art «Nebenrolle». Welche Möglichkeiten bieten sich an, um dennoch auf die Untersuchung Einfluss zu nehmen und der Staatsanwaltschaft unter die Arme zu greifen?

    Duri Bonin: Meine Erfahrung zeigt, dass es eine aktive Privatklägervertretung braucht. Ich bin als Privatklägervertreter oftmals unzufrieden mit der Arbeit der Staatsanwaltschaft. Anders als bei einer Verteidigung geht es darum, das Beweisfundament zu stärken, mögliche Einfallstore zu schliessen, deutlich aktiver am Beweisergebnis mitzuwirken. Ich stelle mir deshalb immer wieder aufs Neue die Frage, wie ich als Verteidiger agieren würde. Gleichzeitig muss man sich in die Rolle des Staatsanwaltes eindenken und aus diesem Verständnis heraus diesen zu unterstützen versuchen: Sei es mittels frühzeitigem Einreichen von strukturierten Ergänzungsfragen im Hinblick auf eine anstehende Einvernahme oder mittels Hinweisen, wo es Schwächen in der Anklageposition hat. Ich bin sogar schon so weit gegangen, dass ich eine eigene Anklage formuliert und dem Beschuldigten vorgehalten habe, da der Staatsanwalt meine Ansicht nicht geteilt hat. Die Erstinstanz ist mir nun gefolgt. Nun bin ich gespannt, wie es weitergeht.

  7. NPK: Das klingt sehr proaktiv und ist sicher auch für unsere Leser interessant, zu wissen, dass Du damit Erfolg hattest. Was ist Deiner Meinung nach seitens der Privatklägerschaft zu unternehmen, wenn die Staatsanwaltschaft untätig bleibt und beispielsweise. auf eine Strafanzeige mit beantragten Zwangsmassnahmen nicht «umgehend» reagiert? Du hast das Thema in einer Folge Deiner Podcastserie «Auf dem Weg zur Anwältin» angesprochen, aber vielleicht können wir es noch etwas vertiefen.

    Duri Bonin: Abhängig von der Dringlichkeit der Sache und eingedenk der Geschäftslast suche ich in solchen Fällen nach einer angemessenen Frist das Gespräch mit der Staatsanwaltschaft. Wo hakt es? Kann ich helfen? Vielmehr als bei einer Verteidigung muss man sowieso aktiv am Ball bleiben. Kommt man bei den Gesprächen auf keine Linie, was selten der Fall ist, folgen schriftliche Eingaben, eventuell verbunden mit Anträgen und/oder Fristen. Auch der Einbezug der Vorgesetzten ist möglich oder eigene Beweisabnahmen. Beschwerden sind leider selten zielführend, da die Geschäftslast am Obergericht derzeit sehr hoch ist und die Entscheiddauer daher zu lange.

  8. RPP: Wie schätzt Du das Risiko ein, mit einer Rechtsverzögerungsbeschwerde die Stimmung mit der Staatsanwaltschaft nachhaltig zu belasten?

    Duri Bonin: Wenn ich eine Rechtsverzögerungsbeschwerde erhebe, ist die Stimmung bereits nachhaltig belastet, sodass dies nicht zusätzlich ins Gewicht fällt. Ich kann mich deshalb nicht daran erinnern, dass ich aus dieser Erwägung heraus auf eine Beschwerde verzichtet habe.

  9. RPP: In einer weiteren Podcast-Folge sprichst Du die Rolle von Vergleichen im abgekürzten Verfahren an. Die beschuldigte Person muss als Minimum die Zivilansprüche im Grundsatz anerkennen. Ab diesem Zeitpunkt kann es aber noch ein weiter Weg sein, bis die Parteien sich auf einen Vergleich einigen. Entscheidend ist, dass die Privatklägerschaft den Vergleichsbetrag effektiv erhält. Welche Überlegungen empfehlen sich hier und wie sollte die Privatklägerschaft das Vetorecht betreffend die Anklageschrift sinnvoll als Verhandlungsgegenstand einbringen?

    Duri Bonin: Die Privatklägerschaft hat eine sehr starke Position im abgekürzten Verfahren. Wird die Zivilforderung nicht sichergestellt, kann ich mir daher schwerlich vorstellen, dass die Zustimmung zum abgekürzten Verfahren von einer durch mich vertretenen Person erfolgt.

  10. RPP: Mit Blick auf unser Netzwerk sind wir abschliessend natürlich interessiert, zu erfahren, wo Du Bedarf nach einem vertieften Erfahrungs- und Wissensaustausch im Bereich Vertretung von Privatklägern siehst.

    Duri Bonin: Viele im Strafrecht tätige Anwälte sind entweder Verteidigerinnen oder Privatklägervertreterinnen. Ich persönlich erachte aber genau die Kombination von Privatklägervertretung und Verteidigung als Mehrwert und zwar für beide Aufgaben. Aber natürlich führt dies auch zu Komplikationen: Ich hatte den Fall – ich war Privatklägervertreter –, als der Verteidiger an der Hauptverhandlung meinen Aufsatz zu den Teilnahmerechten vorgehalten hat oder bei Haftfällen lese ich bei den Gegenseiten immer mal wieder die Argumente aus unserem Buch zur Untersuchungshaft. Aber das empfinde ich als befruchtend und reizvoll. Es schärft das Argumentarium. Wie auch immer: Entscheidend dünkt mich für die Qualität unserer Arbeit, dass der Austausch über die verschiedenen Rollen hinaus gepflegt wird.

Duri Bonin ist Anwalt (Bonin & Uffer Rechtsanwälte) und Podcaster (Auf dem Weg als Anwältin), demnächst führt er ein Seminar zur Verhaftung und Ersteinvernahme durch.


Das Interview führten die Gründer von NPK | RPP:
Dr. Tobias Schaffner LL.M., BALDI & CARATSCH
Dr. Adam El-Hakim LL.M., LALIVE SA

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